Klima- und Energiepolitik dürfen Re-Industrialisierung Europas nicht gefährden

Eine moderne Re-Industrialisierung Europas forderten der Vizepräsident der EU-Kommission, Antonio Tajani, und Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl am Europatag, der letzte Woche in der WKÖ stattfand. Im Rahmen der Diskussionsveranstaltung zum Thema „EU-Klimapolitik und EU Industriepolitik – zwei Politiken im Widerstreit“ analysierten hochrangige Vertreter aus Politik und Wirtschaft die europäische Klima- und Energiepolitik. Die Re-Industrialisierung diene nicht dem Selbstzweck, sondern sei unabdingbar, um Wachstum und Arbeitsplätze in Europa zu halten und auch in Zukunft zu schaffen, unterstrichen Tajani und Leitl einstimmig. Keinesfalls dürften zu strenge Klimaziele effiziente Industriebetriebe aus Europa vertreiben.

Der CO2-Handel als Investitionsbremse

„Die aktuellen Entwicklungen im CO2-Handel sind für die Industrie destruktiv und falsch. Es gibt keine Investitionssicherheit“, so Marc Lunabba, Obmann des WKÖ-Fachverbandes der Papierindustrie, zu der andauernden Diskussion über die Spielregeln des Emissionshandels für energieintensive Unternehmen. Auch Bernhard Kohl, voestalpine, zeigte Wettbewerbsverzerrungen innerhalb des Emissionshandels auf: „Die voestalpine ist das einzige Stahlwerk Europas, das in der laufenden Handelsperiode Zertifikate zukaufen musste, während direkte Konkurrenten aufgrund ihrer schlechten Auslastung einen Mittelzufluss aus dem Verkauf von Zertifikaten von 220 Millionen Euro verzeichnen konnten.“

„Europa konnte seine Emissionen deutlich reduzieren, das EU-Ziel von minus 20% bei den CO2-Emmissionen ist mit minus 18,4 Prozent schon fast erreicht“, unterstrich Michael Losch, Sektionschef im Wirtschaftsministerium, die Wirkung der aktuellen Regelung des CO2-Handels in Europa. Vor dem Hintergrund dieses ökologischen Erfolges sei die aus seiner Sicht einseitige Diskussion über die Preisentwicklung nicht nachvollziehbar.

Richard Seeber, EVP-Umweltkoordinator im Europäischen Parlament, sieht Handlungsbedarf: „Ökologie und Ökonomie sollten kein Widerspruch sein, denn nur eine wettbewerbsfähige, innovative Wirtschaft hat die Kraft zur Modernisierung“, betonte Seeber. „Das ETS-System abzuschaffen ist unrealistisch, gefragt sind vielmehr gute Ideen und Anregungen für Verbesserungen des Systems.“

Energiepreisschieflage verlangt europäische Lösungen

„Mit den Energiepreisen – insbesondere den Gaspreisen – in den USA werden wir uns nicht messen können, das ist chancenlos.“ Mit dieser düsteren Aussicht eröffnete E-Control-Vorstand Walter Boltz die Diskussion um die Preisdifferenz bei den Gaspreisen und die daraus folgenden Konsequenzen für die heimische Wirtschaft. In Europa sind die Preise um ein Vielfaches höher als in den USA, was sich auch auf die Strompreise durchschlägt.

Tenor der Diskussion: Es muss alles unternommen werden, um diesen Wettbewerbsnachteil zu beseitigen und in Europa konkurrenzfähige Energiepreise sicherzustellen. Deshalb sei es wichtig, die Importabhängigkeit zu senken, den Energiebinnenmarkt zu vollenden und Leitungen auszubauen, so die Experten. EU-Abgeordneter Paul Rübig: „Man könnte fast dem Streit ums Gas zwischen Russland und Ukraine dankbar sein, denn das war der Beginn einer echten europäischen Energiepolitik. Wir haben ein Potenzial von 750 Milliarden Euro an Wertschöpfung, wenn wir innerhalb der EU mehr Energie erzeugen. Das bringt Wirtschaftsbelebung und Jobs.“